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Die Kosmonautin auf der Erbse

Zu mei­ner Schul­zeit, als im Unter­richt das New­ton­sche Gra­vi­ta­ti­ons­ge­setz dran war, rech­ne­te mein Phy­sik­leh­rer an der Tafel ein­mal vor, wel­che Gra­vi­ta­ti­ons­kraft auf einen Sput­nik in 500 km Höhe wirkt. Hier­zu hat­te er ange­nom­men, daß der Sput­nik und die Erde Mas­se­punk­te sei­en, und mit New­tons For­mel für die Gravitationskraft  F = G m 1 m 2 r 2 berech­ne­te er dann die Kraft, die auf den Sput­nik wirkt, wobei er für  r die 500 km einsetzte.

Ich wand­te ein, daß da etwas nicht stim­men kön­ne, denn, wenn die Ent­fer­nung zwi­schen Sput­nik und Erde 0 km beträgt, der Sput­nik also auf der Erde liegt, dann wäre der For­mel nach die auf den Sput­nik wir­ken­de Kraft unend­lich hoch, der Sput­nik wäre also unend­lich schwer, und den Rus­sen wäre es unmög­lich gewe­sen, das Ding über­haupt ins All zu schie­ßen. Mein Phy­sik­leh­rer wies den Ein­wand zurück, indem er sag­te: “Divi­si­on durch Null ist ver­bo­ten”, was ich höchst unbe­frie­di­gend fand. Ich erwi­der­te: “Dann set­zen wir den Abstand eben sehr, sehr klein, also fast Null, dann ist die Divi­si­on nicht ver­bo­ten und die auf den Sput­nik wir­ken­de Kraft aber so hoch, daß die Rus­sen ihn trotz­dem nicht ins All hät­ten schie­ßen kön­nen.” Mein Phy­sik­leh­rer sag­te dazu: “Wenn die Zah­len fast Null sind, dann ist das ja eigent­lich wie Null, also genau­so verboten.”

Da erschall­te das Klin­gel­zei­chen, die Stun­de war zu Ende, und wir rann­ten auf den Schul­hof, aßen Pau­sen­bro­te oder rauch­ten heim­lich hin­ter der Turn­hal­le. Ich hat­te den Streit um das Gra­vi­ta­ti­ons­ge­setz mit mei­nem Phy­sik­leh­rer schnell ver­ges­sen und auch nie fortgeführt.

Aber was hat­te er falsch gemacht? Oder ich? Grund­sätz­lich hat­te kei­ner etwas falsch gemacht. Die Berech­nun­gen des Phy­sik­leh­rers waren kor­rekt, unter der Vor­aus­set­zung, daß die Erde und der Sput­nik Mas­se­punk­te sind. Nur sei­ne Argu­men­ta­ti­on, daß die Divi­si­on durch Null ver­bo­ten sei, war däm­lich, denn natür­lich wird die Kraft belie­big groß, wenn der Abstand der Mas­se­punk­te sich immer mehr dem Wert von Null nähert.

Mit der Rea­li­tät hat das aber wenig zu tun, weil der Sput­nik und die Erde kei­ne Mas­se­punk­te sind und daher ihr Abstand nicht Null wer­den kann. Der Erde, wenn man sie sich als Mas­se­punkt denkt, kann sich der Sput­nik nicht mehr annä­hern als es der Erd­ra­di­us zuläßt. Mein Phy­sik­leh­rer hät­te also noch den Erd­ra­di­us zu den 500 km addie­ren müssen.

Ich möch­te das nun noch ein­mal kor­rekt ausrechnen.

Dazu müs­sen wir uns zunächst ein paar Wer­te zusam­men­su­chen, näm­lich den Erd­ra­di­us und die Erd­mas­se. Der Erd­ra­di­us wird auf Wiki­pe­dia mit rund 6371 km ange­ge­ben und die Erd­mas­se mit  5 , 9722 · 10 24 kg.
Wei­ter­hin benö­ti­gen wir den Wert für die Gravitationskonstante  G . In Arndts klei­nem For­mel­le­xi­kon von 1982 wird sie mit  G = ( 6 , 6720 ± 41 10 4 ) 10 11 N m 2 / kg 2 ange­ge­ben, auf Wiki­pe­dia wird  G = ( 6 , 674 30 ± 0 , 000 15 ) 10 11 m 3 kg s 2 genannt. Dage­gen, wenn man sie auf einem Hew­lett Packard Taschen­rech­ner HP 35s abruft, erhält man  6 , 6730 10 11 und auf einem Casio fx-5800P 6 , 6742 10 11 .

Bemer­kens­wert ist, daß Lexi­kon, Wiki­pe­dia und Taschen­rech­ner alle leicht unter­schied­li­che Wer­te lie­fern, und wenn man sie genau­er unter­sucht, könn­te man zu der Annah­me kom­men, daß sich die Gra­vi­ta­ti­ons­kon­stan­te seit 1982 mit der Zeit leicht erhöht hat, aller­dings so gering, daß wir davon nichts spüren.

Um uns die Arbeit etwas zu erleich­tern, schrei­ben wir ein klei­nes Pro­gramm für den HP 35s. Zu mei­ner Schul­zeit wäre solch eine Waf­fe ver­bo­ten gewe­sen. Taschen­rech­ner an sich waren ver­bo­ten und erst recht pro­gram­mier­ba­re Taschen­rech­ner. Mein Mathe­leh­rer sag­te ein­mal, Taschen­rech­ner sei­en geisttötend.
Taschen­rech­ner muß­ten wir heim­lich unter dem Tisch ver­wen­den, wes­halb Taschen­rech­ner mit Solar­zel­len bei uns Schü­lern recht unbe­liebt waren.

Hier nun das Pro­gramm für den HP 35s. Wir nen­nen das Pro­gramm G, G wie Gra­vi­ta­ti­ons­kraft. Pro­gram­me kön­nen auf dem HP 35s nur mit einem ein­zel­nen Buch­sta­ben benannt werden:

G001 LBL G
G002 2
G003 xy
G004 ÷
G005 ×
G006 G
G007 ×
G008 RTN

Und nun kön­nen wir ganz ein­fach die Gra­vi­ta­ti­ons­kraft nach der Formel  G m 1 m 2 r 2 wie soeben pro­gram­miert berech­nen, indem wir die Sput­nik­mas­se (hier mit 200 kg geschätzt), die Erd­mas­se und den Erd­ra­di­us zuzüg­lich der Höhe des Sput­niks von 500 km als Para­me­ter in genann­ter Rei­hen­fol­ge ein­ge­ben und das Pro­gramm G starten:

200
ENTER
5.9723E24
ENTER
6371E3
ENTER
500E3
+
XEQ G
ENTER

Wir erhal­ten: 1688,3125.
Die Maß­ein­heit müs­sen wir uns selbst her­lei­ten, das sind  m 3 kg s 2 kg 2 m 2 , also  m kg s 2 , also New­ton – klar, die Maß­ein­heit für die Kraft ist N, somit ist unser Resul­tat: 1688,3125 N.

Wenn wir nun die Sput­nik­mas­se aus dem Ergeb­nis her­aus divi­die­ren, also unser Ergeb­nis durch 200 kg tei­len, erhal­ten wir die Fall­be­schleu­ni­gung des Sput­niks, nämlich  8 , 4416 m s 2 , die sich in 500 km Höhe dem­nach schon etwas von der in der Nähe der Erd­ober­flä­che, wo sie rund  9 , 81 m s 2 beträgt, unterscheidet.

Damit hät­te ich jene Unter­richts­stun­de, in der mein Phy­sik­leh­rer Blöd­sinn gemacht hat, auf­ge­ar­bei­tet. Aber was kön­nen wir nun mit die­sem in der Schu­le erwor­be­nen Wis­sen eigent­lich anfangen?
Jede Men­ge! Wir kön­nen uns jede Men­ge nütz­li­ches und nutz­lo­ses Wis­sen her­lei­ten. Wir kön­nen uns zum Bei­spiel die Fra­ge beant­wor­ten, wel­che Gra­vi­ta­ti­ons­kraft zwei Erb­sen mit einem Abstand von einem Meter auf­ein­an­der aus­üben. Dazu neh­men wir an, daß eine Erb­se 0,5 Gramm wiegt und der Durch­mes­ser 5 mm beträgt, wobei die­ser gerin­ge Durch­mes­ser bei der Berech­nung der Gra­vi­ta­ti­ons­kraft für die Ent­fer­nung von einem Meter kei­ne Rol­le spielt.
Nach­dem wir den Taschen­rech­ner bemüht haben, erhal­ten wir  1 , 6683 10 17 N. Das ist so gut wie nichts. Und selbst, wenn wir die Erb­sen direkt neben­ein­an­der legen, der Abstand der als Mas­se­punk­te gedach­ten Erb­sen durch ihren Radi­us von 5 mm bedingt 1 cm beträgt, erhal­ten wir eine Gra­vi­ta­ti­ons­kraft von nur 1 , 6683 10 13 N. Das ist immer noch wenig.

Wir kön­nen wei­ter­hin aus­rech­nen mit wel­cher Kraft eine Erb­se einer Kos­mo­nau­tin im All auf den Po drückt, wenn die Kos­mo­nau­ten die Erb­se allein durch Gra­vi­ta­ti­on an sich zieht.
Das wären nach unse­rer For­mel etwas um die  9 10 11 New­ton. Also wie­der so gut wie nichts. Die Kos­mo­nau­tin müß­te schon die Prin­zes­sin des Uni­ver­sums sein, um das zu spüren.

Erst, wenn die Kos­mo­nau­tin stark über­ge­wich­tig wäre (Mas­se des Mon­des) könn­te sie die Erb­se viel­leicht spü­ren, oder, wenn ihr Po und die Erb­se tat­säch­lich nahe­zu Mas­se­punk­te wären, so daß der Abstand zwi­schen den bei­den sehr gering wer­den kann, dann könn­te die Erb­se auch ordent­lich drücken.

Tags: Gravitation, Physik, Kosmonautin, Newton, Erbse, Mathematik

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